Ein Psychologe lernt ITSM – ein Plädoyer für mehr Heterogenität im Unternehmen
Seit einigen Monaten arbeite ich bei der ITSM Partner Consulting GmbH und besuche natürlich auch Seminare zum Thema ITSM. Gern lausche ich dabei den internen Geschichten der anderen Kursteilnehmer:innen aus der Praxis und deren kleineren und größeren Problemen. Natürlich alles Top-Secret! Was aber sofort ins Auge springt: Unternehmen müssen sich wahnsinnig schnell an sich verändernde Bedingungen anpassen. Am deutlichsten zu spüren war dies sicherlich während der Covid-19 Pandemie. Ständig neue Regularien, unmögliche Vorhersagen und Unterschiede und dies nicht nur von Land zu Land, sondern auch von Bundesland zu Bundesland. Wie soll man da noch langfristig und strategisch planen?
Der Druck steigt!
Doch nicht nur die großen Unternehmen sind dem VUCA-Vakuum ausgesetzt, die Anforderungen an jede:n Einzelne:n im Unternehmen steigen ständig. In der Psychologie spricht man inzwischen sogar von Arbeitskraftunternehmer:innen. Wie ein Unternehmen muss auch der oder die Einzelne zeigen, dass er/sie mit diesen Anforderungen umgehen kann und sich selbst anpreisen – sei dein:e eigene:r Unternehmer:in. Selbst-Marketing ist dadurch inzwischen ein zentraler Bestandteil des Arbeitslebens. Oder wann haben Sie das letzte Mal Ihr LinkedIn-Profil upgedatet? Gleichzeitig wird Selbstkontrolle immer wichtiger. Ziele sollen nicht mehr irgendwie erreicht werden, sondern entsprechend der Vision, Strategie oder Markenimages des Unternehmens. Effektivität ist entscheidend und wirkt sich bei den Arbeitskraftunternehmer:innen sogar auf das Privatleben aus. Alles wird durchgetaktet und rationalisiert. Arbeit bis 17:30, um 18:00 Uhr zum Sport, Abendessen mit Freunden um 20:00 Uhr und um 23:00 ins Bett. Hört sich das für Sie eigentümlich bekannt an?
Und das Unternehmen? Ist doch gut, oder? Wer hat nicht gern effektive und strukturierte Angestellte. In der Praxis schwierig. Nicht jeder kann oder will bei diesen steigenden Anforderungen mithalten. Die Konsequenz: Langjährige Mitarbeiter:innen scheiden aus dem Unternehmen aus und wichtiges Wissen sowie wichtige Perspektiven gehen dem Unternehmen verloren. Langfristig gesehen ist dies dann vielleicht doch gar nicht so effektiv wie gedacht. Außerdem sorgt dies für eine gewisse Homogenität unter den Angestellten und innerhalb des Unternehmens.
Kennedy und die Gefahr der Konformität
Wenn alle sich ähneln, dann bleibt kein Platz für neue Ansätze. Im schlimmsten Fall führt dies sogar zu Konformität und zum Phänomen des sogenannten Groupthink. Einher gehen teils dramatische Folgen für das Unternehmen. Kein klassisches Unternehmen, aber das klassische Beispiel hierfür findet sich in der Geschichte der USA, genauer gesagt bei John F. Kennedy und der Invasion der Schweinebucht 1961 in Kuba. Aus Angst vor dem aufkommenden Kommunismus unter dem neuen Präsidenten Fidel Castro invadierten ca. 1300 Exilkubaner aufseiten der USA gegen ca. 20000 Kubaner und wurden vernichtend an der Schweinebucht geschlagen: 118 wurden getötet und ca.1200 gefangen genommen. Retrospektiv einer der größten Fehlschläge innerhalb der Geschichte der USA.
Doch wie konnte Kennedy diese Fehleinschätzung passieren? Die kurze Antwort ist „Groupthink“. Die lange Antwort dagegen ist, dass Optionen nicht kritisch überprüft wurden, denn das positive Gruppenklima und Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gruppe der Organisator:innen war wichtiger. Groupthink führt zu einer verzerrten Wahrnehmung und somit zu teils unglaublichen Fehlentscheidungen. Begleitet wird dies durch die Überschätzung der Unverletzbarkeit der Gruppe, mangelnden Zieldefinitionen, Selbstzensur und einer selektiven Verarbeitung von Informationen – natürlich um die Meinungen und Optionen der Gruppe zu bestätigen. Noch mal verstärkt wird der Effekt im Übrigen, wenn es eine:n starke:n, dominante:n Meinungsführer:in im Inneren der Gruppe gibt. Diese:r bildet dann Orientierung und Identifikation in einem. Im genannten Fall war dies Kennedy. Die Gruppe kapselt sich somit von der Außenwelt ab und Delinquenten innerhalb der Gruppe werden teilweise sogar durch die Normen der Gruppe sanktioniert.
Doch wie können wir daraus lernen? Kennedy hat dies getan und seine Fehlentscheidung schonungslos aufgearbeitet. Dieses Wissen können wir uns zu Nutze machen. Kennt man das Phänomen des Groupthink, dann hat man schon den ersten Schritt gemacht.
Weiterhin empfehlt die Psychologie folgendes:
- Zurückhaltung des/der Vorgesetzten
- Safety Culture – Ermutigung zur Äußerung von Einwänden und Zweifeln
- Eine fallweise Übernahme der Rolle eines „advocatus diaboli“
- Einsatz parallel am selben Problem arbeitenden Gruppen und die Einbeziehung externer Beobachter:innen und Kritiker:innen
Mit Diversity gegen den Groupthink steuern!
Doch welche anderen Möglichkeiten haben wir prospektiv? Eindeutig! Es gar nicht erst zu dieser extremen Form der Gruppenkohäsion im Unternehmen kommen lassen. Und wie? Durch heterogene Teams und mehr Diversity! Dies mag ein Modewort unserer Zeit sein, aber setzen Sie sich einmal gedanklich über Ihre Ressentiments hinweg. Heterogene Teams sind anstrengender – ja! Heterogene Teams sorgen für Konflikt – definitiv! Aber wenn wir wichtige und somit meist langfristige Entscheidungen treffen oder dazu gezwungen werden, kreative Lösungen zu finden, dann sind heterogene Teams Gold wert. Natürlich geht es immer noch darum, die richtige Balance zwischen Homogenität und Heterogenität im Team zu finden, schließlich wollen wir einen permanenten Konflikt im Unternehmen vermeiden und generell führt Homogenität zu einer effektiven Kommunikation, aber in diesen entscheidenden Situationen können wir dadurch einen Wettbewerbsvorteil erzielen. Diversity sorgt dabei für mehr Wissen aus verschiedenen Perspektiven, mehr Kreativität und somit auch einer höheren Notwendigkeit, Dinge genauer zu diskutieren und schlussendlich zu einer effektiveren Aufdeckung von Problemen und Fehlern.
Stellen Sie sich einmal vor Sie sind Teil eines in Europa agierenden Teams und designen eine User Experience. Ihr Team besteht aus vier österreichischen Männern im selben Alter, alle mit Hintergrund in der IT. Stellen Sie sich nun vor, dass die Teammitglieder 20, 30, 45 und 60 sind. Und nun, dass zwei dieser Mitglieder wiederum Frauen sind. Glauben Sie nicht auch, dass die heterogenen Teams ein besseres Verständnis in Bezug auf verschiedene Anwendergruppen haben, weil ein heterogenes Team besser unterschiedliche Perspektiven einnehmen kann und dies die User Experience nur verbessert? Wenn ja, dann fragen Sie sich einmal selbst, wie dies in Ihrem Team aussieht. Ist Ihr Team wirklich divers?
Das Beispiel lässt sich ewig weiter spinnen. Stellen Sie sich vor, nicht alle hätten einen Hintergrund in der IT, sondern Sie könnten auf zusätzliches Wissen aus der BWL, Psychologie oder sogar Linguistik zurückgreifen oder die Mitglieder Ihres Teams kommen aus Österreich, Spanien, Finnland und Kroatien. Klingt nach einer Herausforderung, aber auch nach einer großen Chance für ihre individuelle als auch ihre Weiterentwicklung im Team. Ich plädiere somit für mehr Diversity und heterogene Teams, damit das Unternehmen vielfältige Perspektiven einnehmen kann, Wissen erhalten bleibt und letztendlich tatsächlich optimale und effektive Entscheidungen getroffen werden können.
Über den Autor:
Hannes Wehrt, M. Sc ist Psychologe und hat im Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologie an der Technischen Universität München gearbeitet und doziert. Bei uns hat er gemeinsam mit Richard Friedl unser E-Learning zu unserem Mind4Service Portfolio erstellt und an die Anforderungen des tatsächlichen Arbeitslebens angepasst. Seine privaten Interessen sind so vielfältig wie seine wissenschaftlichen Kenntnisse: Kunst, Musik, Sport u.v.m.